Ein Blick auf und aus Deutschland

Juli 2019

Anna Diamantopoulou gibt persönliche Einblicke in ihr Richard von Weizsäcker Fellowship an der Robert Bosch Academy und erklärt, wie es ihre jetzige Arbeit bereichert.

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„Die Robert Bosch Academy schafft eine motivierende Atmosphäre und ermöglicht ihren Fellows, bereichernde Beziehungen untereinander aufzubauen. Sie ist eine internationale Plattform in Deutschland, die Raum für inspirierenden Austausch zwischen Persönlichkeiten auf höchstem Niveau bietet“, sagt Anna Diamantopoulou über die Einrichtung der Robert Bosch Stiftung, in der internationale Meinungsbildner, Entscheidungsträger und Experten zu Fragestellungen von globaler Bedeutung arbeiten.

Die Richard von Weizsäcker Fellows erhalten den intellektuellen Freiraum, um jenseits ihrer regulären Aufgaben und Verpflichtungen ihren individuellen Vorhaben nachzugehen. Die Aufenthalte bieten den Fellows zahlreiche Möglichkeiten mit der deutschen und internationalen politischen Öffentlichkeit in Dialog zu treten. Die Fellows erweitern so ihre Netzwerke und erweitern ihre Expertise durch Einblicke in deutsche und europäische politische Debatten sowie Entscheidungsprozesse. Im Dialog mit den Fellows erhalten deutsche Entscheidungsträger und Experten neue Perspektiven auf gesellschaftspolitische Herausforderungen – eine intellektuelle Win-Win-Situation.

Die Interessen und Expertisen der Fellows sind vielfältig. Daher werden Programm und Dauer des Fellowships auf jeden Fellow individuell zugeschnitten. So verbringen die Fellows Arbeitsaufenthalte von ein paar Monaten bis hin zu einem Jahr in Berlin.

Die ehemalige griechische Politikerin Anna Diamantopoulou war elf Jahre Abgeordnete des griechischen Parlaments und verbrachte 2016 ein halbes Jahr an der Robert Bosch Academy. Von 1999 bis 2004 arbeitete sie als Europäische Kommissarin für Beschäftigung, Soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit in Brüssel. Von 2009 bis Mai 2012 bekleidete sie das Amt der griechischen Ministerin für Bildung, lebenslanges Lernen und Religionsangelegenheiten sowie im Anschluss der Ministerin für Entwicklung, Wettbewerbsfähigkeit und Schifffahrt.

Heute ist Anna Diamantopoulou Präsidentin des in Athen ansässigen Think Tanks „Network for Reforms in Greece and Europe“ (DIKTIO). Bei DIKTIO arbeitet sie zu Fragen der digitalen Revolution, ihren Herausforderungen und Perspektiven sowie den Auswirkungen auf internationale Strukturen. Als Fellow der Robert Bosch Academy konzentrierte sie sich auf die deutschen Sozialreformen der Schröder-Regierung, die als Agenda 2010-Reformen bekannt wurden, und eng mit dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder assoziiert werden. Über die Gespräche während ihres Fellowships sagt Anna Diamantopoulou: „Ich hatte Gelegenheit, mit Leuten zu diskutieren, die an dem Reformprozess beteiligt waren und die Auswirkungen der Agenda 2010 erlebt und untersucht haben.“

Unter ihren Gesprächspartnern befanden sich mehrere ehemalige Minister der Regierung Schröder, darunter Finanzminister a. D. Hans Eichel, Innenminister a. D. Otto Schily und Wirtschaftsminister a. D. Wolfgang Clement. Sie führte zudem Interviews mit Vertretern der Wissenschaft, die zu den Agenda 2010 Reformen forschen, darunter Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung und Clemens Fuest, Direktor des ifo Instituts. Weitere Erkenntnisse ergaben sich im Gespräch mit Peter Hartz, der zahlreiche Aspekte der Agenda 2010 entwarf.

Deutschland mit griechischen Augen, Griechenland mit deutschen Augen

Diese Treffen halfen ihr, die Hintergründe der Reformen zu verstehen. „Ich wurde in meiner Ansicht bekräftigt, dass die Wichtigkeit jedes politischen Projekts oder jeder Reform darin besteht, wie die gesamte Gesellschaft langfristig davon profitiert. Und genau das war bei der Agenda 2010 in Deutschland der Fall."

Anna Diamantopoulous Aktivitäten in Berlin konzentrierten sich nicht ausschließlich auf vergangene Politikvorhaben. Mit Blick auf die Zukunft ist sie zuversichtlich, dass DIKTIO von dem besseren Verständnis der deutschen Erfahrungen profitieren wird. „Der Kontakt und der Austausch mit deutschen Institutionen aus Wirtschaft und Politik haben den Weg für die weitreichende Zusammenarbeit mit DIKTIO in Athen geebnet“, sagt sie.

Die Fellows mit ihren unterschiedlichen fachlichen wie beruflichen Hintergründen formen eine enge internationale Gemeinschaft, die über ihre jeweiligen Aufenthalte in Berlin Bestand hat. Dafür ist Anna Diamantopoulou ein gutes Beispiel. Als Teil der Reflexionsgruppe beteiligte sie sich am Hypocrisy-Projekt des ehemaligen Fellows Ivan Krastev, welches anmahnte, die „westliche“ Politik der „Doppelmoral“ und „Scheinheiligkeit“ diene als ideologische Grundlage, um die eigens vom „Westen“ geschaffene liberale Ordnung anzugreifen.
Sie arbeitete zudem mit dem Richard von Weizsäcker Fellow James Kondo, den sie nach Athen einlud. Auch Kemal Derviş und François Heisbourg empfing sie als Sprecher für vertrauliche DIKTIO-Gespräche mit hochrangigen Vertretern aus griechischer Politik, Diplomatie und Wirtschaft.
Mohammad Darawshe und Soli Özel wurden auf Anna Diamantopoulous Empfehlung zum Delphi Economic Forum eingeladen.

Dies sind einige wenige Beispiele, die zeigen, wie Fellows nach ihrem Aufenthalt an der Robert Bosch Academy in einer vielfältigen und ständig wachsenden Gemeinschaft zusammenarbeiten. Einmal im Jahr trifft sich die gesamte Gemeinschaft zum Richard von Weizsäcker Forum: „Mit dem jährlichen Wiedersehen bringt die Academy ihren festen Glauben an langfristige und nachhaltige Partnerschaften und Ziele zum Ausdruck. Das Fellowship steht dabei im Zentrum der ambitionierten, vielfältigen und ständig wachsenden Gemeinschaft von einflussreichen Gelehrten, Politikern und Führungskräften im Herzen Europas“, sagt Anna Diamantopoulou.

Zur Frage, welche Einsichten über die deutsche Gesellschaft sie am meisten überraschte, sagt Anna Diamantopoulou: „Ich war sehr beeindruckt, wie die Deutschen mit ihrer Vergangenheit umgehen. Sie versuchen einerseits, die tragische Wahrheit der beiden Weltkriege darzustellen, und andererseits die jungen Deutschen zu ermutigen, stolz auf das zu sein, was ihr Heimatland erreicht und für Europa und die Welt geleistet hat.“ Aus ihrer Sicht zeigt das Beispiel Deutschland zudem, dass Disziplin und Zielstrebigkeit in allen Bereichen des öffentlichen Lebens fruchtbare Ergebnisse bringen. Gleichzeitig weist sie darauf hin, dass Errungenschaften und Privilegien nicht für selbstverständlich gehalten werden sollten. „Das Beispiel Griechenland lehrt uns, dass ein Staat, der vergleichbare Bedingungen wie Deutschland aufzuweisen schien, leicht zusammenbrechen kann, wenn seine Institutionen nicht robust genug sind.“

Ihr Richard von Weizsäcker Fellowship zusammenfassend stellt Anna Diamantopoulou fest: „Es ging vor allem darum, Deutschland mit griechischen Augen und Griechenland mit deutschen Augen zu sehen“.

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