Zweimal verbrachte Lloyd Axworthy einen Arbeitsaufenthalt an der Robert Bosch Academy. Sein Ziel: neue Lösungsansätze zu finden für die globale Flüchtlingskrise. Ein Einblick in das unermüdliche Engagement eines Elder Statesman.

Deutschland und die „Flüchtlingskrise“

Die Welt schaut auf Deutschland. Hunderttausende Geflüchtete waren im Jahr 2015 gekommen. Eine Herausforderung auch für ein wirtschaftlich so starkes Land wie die Bundesrepublik. Sollte die erfolgreiche Integration hier nicht gelingen – so Lloyd Axworthy –, wird die Aufnahmebereitschaft in vielen anderen Ländern dramatisch abnehmen. Deshalb wollte der ehemalige kanadische Außenminister und Minister für Arbeit und Immigration aus erster Hand erfahren, wie Deutschland auf die sogenannte „Flüchtlingskrise“ reagierte.

Während seines ersten Arbeitsaufenthalts als Richard von Weizsäcker Fellow absolvierte Lloyd Axworthy ein umfangreiches Programm: Neben einer Vielzahl an Hintergrundgesprächen mit deutschen Entscheidungsträgern und Experten begleitete er die Studienreise der Academy durch Deutschland zum Thema „Germany and the Refugee Story“. Vom zivilgesellschaftlichen Engagement vieler Deutscher war er positiv überrascht. Problematisch sah er hingegen die nur kleinen Erfolge bei der Integration von Geflüchteten in den deutschen Arbeitsmarkt und die Inflexibilität, mit der viele Unternehmen und Politiker auf Bundesebene auf die anstehenden Herausforderungen reagierten – und dadurch auch Chancen für die deutsche Wirtschaft gefährdeten.

Das World Refugee Council

Geprägt durch die Gespräche und Erfahrungen im Rahmen seines ersten Aufenthalts an der Academy, initiierte Lloyd Axworthy das World Refugee Council. Das Ziel: kreative und mutige Lösungen zu finden für die globale Flüchtlingskrise. Für eine so komplexe Herausforderung sei eine gemeinsame globale Antwort der Staatengemeinschaft essenziell, so der ex-Diplomat. Deshalb arbeitet der WRC multilateral und interdisziplinär: Zum Rat gehören unter anderem auch die pakistanische Menschrechtlerin Hina Jilani, der frühere Präsident Tansanias Jakaya Kikwete und Fen Osler Hampson, Direktor des Global Security and Politics Program vom Centre for International Governance Innovation (CIGI). Nach Treffen in der Schweiz und Jordanien kamen die Ratsmitglieder auch in Deutschland unter der Schirmherrschaft von Rita Süssmuth in der Berliner Repräsentanz der Robert Bosch Stiftung zusammen. Auf der zweitägigen Konferenz diskutierte der Rat Ideen und mögliche Lösungsansätze mit Meinungsforschern, Journalisten, Politkern und Vertretern von NGOs und Think Tanks – darunter auch die Stärkung der digitalen Vernetzung der Geflüchteten sowie die Verwendung von „Frozen Assets“ (eingefrorener Vermögenswerte) von Diktatoren zur Finanzierung.

Herausforderung Osteuropa

Während seines zweiten Aufenthalts an der Robert Bosch Academy verbrachte Lloyd Axworthy viel Zeit in Osteuropa. Im Gespräch mit Akteuren vor Ort wollte er mehr über die Ursachen der teils sehr restriktiven Politik gegenüber Geflüchteten in der Region lernen. Bei Gesprächen in Slowenien, Kroatien und Ungarn traf er sich dafür mit einer Vielzahl an Entscheidungsträgern und Experten – von Staatslenkern und führenden Politikern über Repräsentanten von transnationalen Organisationen bis zu Graswurzel-NGOs. Darüber hinaus suchte er auch stets das Gespräch mit Geflüchteten, um auch mehr über ihre Perspektiven zu erfahren.
Ein sehr persönliches Anliegen war ihm ein Besuch im Kosovo. Vor rund zwanzig Jahren reiste Axworthy als damaliger Außenmister bereits hierher und setzte sich für eine Intervention Kanadas und ihrer Verbündeten ein, um schwerste Menschenrechtsverletzungen zu unterbinden. Durch sein Engagement hat er die Diskussion um das Prinzip „Responsibility to Protect“ maßgeblich beeinflusst. In zahlreichen weiteren Gesprächen auch mit Vertretern des Militärs, überzeugte er sich von der aktuellen Situation und erörterte zugleich, inwieweit der Kosovo als Fallbeispiel für Erfahrungen im Umgang mit Flüchtlingsströmen sowie der folgenden Versöhnung und Integration dienen kann. Sicher sei der Kosovo ein positives Beispiel für das nötige Eingreifen einer um Frieden und Einhaltung der Menschrechte bemühten Staatengemeinschaft – diese hätte er sich auch etwa im Jemen oder Syrien gewünscht, wenn nötig auch ohne UN-Mandat und ohne Russland oder China. Neue Wege, Mut und Beharrlichkeit der Verantwortlichen können auch heute noch solche Leben rettenden Einsätze ermöglichen, so der ehemalige Außenminister in einem TV-Interview vor Ort.

Kanadisches Modell und globale Vision

Als Fellow der Robert Bosch Academy wies Lloyd Axworthy immer wieder auf die kanadische Migrationspolitik und ihre Modellhaftigkeit für andere Regionen hin: „Die kanadischen Erfahrungen zeigen, dass die Aufnahme von Flüchtlingen eine gute Sache sein kann – wenn man es richtig angeht”, so der ehemalige Außenminister. „Wir haben beispielsweise das Konzept der privaten Unterstützung für Flüchtlinge. Nachbarn, Familien oder auch Kirchengemeinden können sich zusammentun und die Unterstützung für einen Flüchtling übernehmen – vom Sprachkurs bis hin zur Unterstützung beim Einkaufen. Die Flüchtlinge sind dann nicht mehr so isoliert, und die Kanadier haben das Gefühl, eine gesellschaftliche Entwicklung mitzugestalten.“

Doch neben nationalstaatlichen Lösungen brauche es auch globale Antworten. Die Vision von Lloyd Axworthy: eine Weltflüchtlingsbehörde. Ist das realistisch? „Es ist notwendig. Es gibt derzeit Schätzungen zufolge 22 Millionen Flüchtlinge, und ihre Zahl wächst. Sie fliehen nicht nur vor Krieg und politischer Verfolgung, sondern auch vor den Folgen des Klimawandels und vielem anderem. Wir müssen das global angehen. Manche Länder wollen keine Flüchtlinge aufnehmen, andere wiederum nehmen mehr auf, als sie schaffen können. Das System bricht derzeit auseinander.“ Dass folgenreiche internationale Abkommen möglich sind, hat er bereits mit seinem Engagement zur Verbannung der Landmienen gezeigt, für das er für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen wurde. Lloyd Axworthy gibt sich weiterhin bescheiden aber auch etwas nachdenklich angesichts der schier unlösbaren Aufgaben der Weltgemeinschaft. Doch Resignation ist für ihn keine Option, man müsse nur einfach anfangen zu machen, so Lloyd Axworthy, der immer noch nicht an Rente denkt.

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