Wie sich der Bosch Health Campus für ein nachhaltiges Gesundheitssystem engagiert
Unser Gesundheitssystem muss sich in den kommenden Jahren vielen Herausforderungen stellen. Um seine Nachhaltigkeit für die Zukunft zu sichern, müssen wir soziale und technologische Innovationen vorantreiben. Dr. Ingrid Wünning Tschol ist Leiterin des Robert Bosch Centrums für Innovationen im Gesundheitswesen am Bosch Health Campus und beleuchtet im Gespräch die Arbeit der Stiftung im Fördergebiet Gesundheit.
Ein Gespräch mit Ingrid Wünning Tschol
Henry Alt-Haaker: Das Fördergebiet der Gesundheit ist älter als die Stiftung selbst und geht direkt auf das philanthropische Engagement des Stifters Robert Bosch zurück. Es stellt auch mit großem Abstand die größte finanzielle Verpflichtung dar, die wir als Stiftung in unserer Geschichte eingegangen sind. Gesundheit ist darüber hinaus ein Thema, das jeden Menschen sehr unmittelbar betrifft: Wir werden alle älter und irgendwann einmal krank. Olaf Scholz war gerade erst in Kenia und hat dort über die Herausforderungen des deutschen Gesundheitssystems – besonders mit Bezug auf den Fachkräftemangel gesprochen. Welches sind in deinen Augen die größten Herausforderungen des deutschen Gesundheitssystems?
Ingrid Wünning Tschol: Das sind der demografische Wandel und seine vielfältigen Auswirkungen: Die geburtenstarken Jahrgänge erreichen ein Alter, in dem häufig vermehrt Krankheiten auftauchen. Zudem haben weltweit - so auch in Deutschland - in allen Altersgruppen Lebensstil-bedingte Krankheiten zugenommen. Und diesen immer mehr kranken Menschen stehen immer weniger Personen gegenüber, die bereit sind, Gesundheitsberufe zu ergreifen. Junge Menschen wollen zwar noch Arzt oder Ärztin werden, aber nicht mit den bisherigen Rahmenbedingungen der Überlastung und auch nicht in der Verantwortung, die zum Beispiel die Führung einer hausärztlichen Praxis mit sich bringt. Das betrifft insbesondere den ländlichen Raum, aber selbst im Speckgürtel von größeren Städten wie Stuttgart ist es schwer, eine Hausarztpraxis nachzubesetzen. Und auch in anderen Gesundheitsberufen herrscht Mangel, das Stichwort hier ist Pflegenotstand.
Wir wollen dieser Herausforderung mit Vorschlägen für soziale Innovationen in einer zunehmend digitalisierten Umgebung begegnen. Das schließt unter anderem Vorschläge zur Förderung von Prävention von Krankheiten und zur Neuverteilung von Rollen in den Gesundheitsberufen mit ein.
Im Frühjahr dieses Jahres hat das Ministerium für Gesundheit ihre Digitalstrategie vorgestellt. Wie bewertest du die zunehmende Digitalisierung im Gesundheitswesen, ist es eine notwendige Entwicklung und Chance oder wo siehst du Kritikpunkte?
Die Digitalisierung sehe ich überhaupt nicht als Herausforderung, sondern im Gegenteil, im Kontext Gesundheitssystem als große Chance. Digitalisierung und Künstliche Intelligenz können und müssen die Ärzt:innen und andere Gesundheitsberufsgruppen bei ihrer Arbeit unterstützen - nicht ersetzen - sei es bei der Erhebung von Gesundheitsdaten oder dem Erkennen von Mustern in der Vielzahl von Daten, die weltweit schon erhoben sind und noch erhoben werden. So beurteilt zum Beispiel ein eigens programmierter KI-Algorithmus Hauttumore nachweislich präziser als Hautärzt:innen. In einer 2019 publizierten Studie traten 157 Hautärzte aus zwölf Universitätskliniken in Deutschland gegen die Computer an: Sowohl die Ärzt:innen als auch der Algorithmus beurteilten 100 Bilder danach, ob es sich um ein Muttermal oder um schwarzen Hautkrebs handelt. Am Ende war die künstliche Intelligenz präziser als die klinische Diagnostik. Durch Analyse von Datenbanken können zudem genetische und seltene Erkrankungen einfacher diagnostiziert werden. Natürlich müssen diese Daten in vertrauensvolle Hände fallen und der Datenschutz beachtet werden. Dafür müssen gute gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen werden und das passiert aktuell.
In einem Modellprojekt, das wir im Bereich Digitalisierung voranbringen wollen, geht es um die „Digital Patient Journey“. Dieser Behandlungsweg beginnt, wenn jemand medizinischen Rat sucht, digital oder vor Ort, und zieht sich durch das gesamte Versorgungskontinuum hindurch bis hin zu einer möglichen Nachversorgung oder gar einer Palliativversorgung. Alle Vorgänge werden digital erfasst und sollen gezielt unterschiedlichen Akteur:innen im Gesundheitssystem zugänglich gemacht werden. Das verspricht nicht nur eine höhere Effizienz, sondern vor allem auch eine Qualitätsverbesserung in der Versorgung eines jeden Einzelnen.
Bevor wir zu einzelnen Programmen gehen, die wir im Fördergebiet Gesundheit betreiben, und zu unterschiedlichen Ansätzen: unser Ökosystem des Fördergebietes Gesundheit ist ja sehr komplex von außen, wenn man es versuchen will zu beschreiben, mit verschiedenen Töchtern und Einrichtungen. Kannst du noch einmal kurz erklären, wie das alles zusammengehört?
Der Bosch Health Campus (BHC) in Stuttgart ist eine relativ neue und einzigartige Einrichtung, die im Wesentlichen aus vier Elementen besteht: Das größte Element ist Care, also die Versorgung, und das ist das Robert-Bosch-Krankenhaus. Dann gibt es das Element Education in Form des Irmgard-Bosch-Bildungszentrums für die Aus- und Weiterbildung in den Gesundheitsberufen. Das dritte Element Research sind unsere Forschungsinstitute, das Robert-Bosch-Centrum für Tumorerkrankungen, das Institut für Geschichte der Medizin und das Institut für Klinische Pharmakologie. Dort wird Forschung auf Weltniveau betrieben. Und schließlich das Element Fördern, für das das Robert Bosch Centrum für Innovationen im Gesundheitswesen steht, kurz RBIG. Damit unterscheiden wir uns von Universitätskliniken, die nur maximal die drei Elemente Forschung, Versorgung und Ausbildung unter einem Dach vereinen. Unsere Modell-Vorhaben wollen wir - also das RBIG - in Zusammenarbeit mit den anderen Elementen am BHC erproben und wo immer nötig auch mit nationalen und internationalen Partnern kooperieren. Ein besonders wichtiger Partner am BHC wird die ebenfalls dort angesiedelte Koordinierungsstelle Telemedizin Baden-Württemberg (KTBW) sein.
Ein bundesweit aktives Programm ist PORT, namentlich Patientenorientierte Zentren zur Primär- und Langzeitversorgung. Was macht diese so besonders?
Aktuell gibt es bundesweit mehr als zehn Standorte unserer PORT-Zentren als Anlaufstelle für die ambulante Gesundheitsversorgung und Behandlung. Die Zentren sind auf regionale Bedarfe ausgerichtet, es gibt oft Sozialberatung und Dolmetscher:innen, und Patient:innen werden nicht nur versorgt, sondern erhalten auch Angebote zur Prävention von Krankheiten. In den Zentren arbeiten Teams aus Gesundheits-, Sozial- und anderen Berufen auf Augenhöhe eng zusammen. Akademisch ausgebildete Krankenpfleger:innen, die sogenannten Community Health Nurses, sind hier besonders zu erwähnen, die u.a. auch Aufgaben von Ärzt:innen übernehmen.
Du sagtest vorhin, dass ihr auf der einen Seite dieses starke Zuhause in Stuttgart habt, vor allem mit dem Krankenhaus, aber natürlich auch deutschlandweit arbeitet. Darüber hinaus arbeitet ihr aber auch international, zum Beispiel in Netzwerken mit anderen Projekten.
Eines unserer Projekte ist das SCIANA- Health Leaders-Netzwerk, das führende Personen aus Forschung und Praxis zusammenbringt, um aktuelle Herausforderungen zu diskutieren und Erfahrungen auszutauschen. Daraus erhalten wir viele Impulse für unsere weitere Arbeit. Die internationale Zusammenarbeit zeigt sich aber auch durch die gemeinsamen Netzwerke, die wir haben, vor allem europaweit, etwa. mit dem Karolinska Institut in Schweden, dem Vall D’Hebron Krankenhaus in Barcelona oder der ETH in Zürich. Beispiele für aktuelle Überlegungen oder vorangeschrittene gemeinsame Pläne mit europäischen Partnern sind ein Forschungskolleg zum Thema Angewandte Künstliche Intelligenz in der Gesundheitsversorgung oder eine gemeinsame Plattform zum Thema evidenzbasierte Prävention.
Wir als Stiftung stellen uns ja immer die Frage, inwiefern können wir gesellschaftliche Wirkung erzielen in allem, was wir tun, in allen Fördergebieten und in allen Themen. Im Gesundheitsbereich ist das aufgrund der der Vielzahl der Akteure, aufgrund der hohen Anzahl von Mitteln, die da bewegt werden, die medizinische Forschung, die verschiedenen Lobbyisten, Interessenvertretungen etc. besonders schwierig. Welche Rolle spielen wir als kleine Robert Bosch Stiftung in diesem ganzen Kontext?
Unser Ansatz ist es, gute Gesundheitsversorgung für alle bereitzustellen und unser Gesundheitssystem fit für die Zukunft zu machen. Obwohl wir klein sind, haben wir bereits viel im Gesundheitsbereich in Deutschland erreicht. Primärversorgungszentren, deren Vorbild die PORTs sind, stehen mittlerweile im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung und werden von anderen Trägern nachgeahmt. Die Initiative Gesundheitszentren in Hamburg hat uns eingeladen, sie zu beraten. Die durch PORTs eingeführte neue Rollenverteilung der Gesundheitsberufe zieht weite Kreise in das deutsche Gesundheitssystem. Im RBIG nutzen wir den Raum zu experimentieren und neue Innovationen voranzubringen, und die PORT-Zentren sind dafür ein erfolgreiches Beispiel.
Das heißt also quasi, unser Ansatz ist es: Wir probieren etwas aus, dass sich sonst keiner traut, und dadurch, dass es gut funktioniert, überzeugen wir andere Akteur:innen so weit, dass wir uns dann irgendwann überflüssig machen. Das klingt nicht nach einem schlechten Ansatz. Liebe Ingrid, vielen Dank für das Gespräch.
Henry Alt-Haaker leitet den Bereich Strategische Partnerschaften und Robert Bosch Academy der Robert Bosch Stiftung.
Dr. Ingrid Wünning Tschol leitet das Robert Bosch Centrum für Innovationen im Gesundheitswesen (RBIG) am Bosch Health Campus in Stuttgart. Das RBIG widmet sich der Förderung vielversprechender neuer Ideen für eine bessere Gesundheitsversorgung.
Erfahren Sie mehr über die Arbeit der Stiftung im Bereich Gesundheit
Quarterly Perspectives
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