Wie Deals am Rande von Klimakonferenzen arme Länder zurücklassen

Dezember 2022

Echte Fortschritte werden nicht auf den Klimakonferenzen, sondern meist bei Nebenverhandlungen gemacht. Das darf nicht auf lange Sicht so weitergehen.

Von Samantha Gross

COP27 Climate Conference Samantha Gross Perspectives
GettyImages / Kyodo News

Die Armen der Welt leiden am stärksten unter den Folgen des sich wandelnden Klimas: Dürren, Überschwemmungen, Hitzewellen und andere klimabedingte Katastrophen sowie die daraus resultierende Migration der Menschen. Diese Situation versinnbildlicht das grundlegende Gerechtigkeitsproblem des Klimawandels. Einerseits ist die reiche Welt für den Löwenanteil der Emissionen in der Erdatmosphäre und damit für das Ausmaß des gegenwärtigen Klimawandels verantwortlich. Die Entwicklungsländer hingegen haben nur sehr wenig zum heutigen Klimawandel beigetragen und sind zugleich am wenigsten in der Lage, die Investitionen zu tätigen, die notwendig sind, um sich gegen die klimatischen Veränderungen zu wappnen und mit den heutigen klimabedingten Katastrophen fertig zu werden. Der Umgang mit diesen Themen ist für eine gerechte Antwort auf den Klimawandel von entscheidender Bedeutung, doch heutige Verhandlungsmechanismen sind für die Bewältigung dieser äußerst schwierigen Herausforderungen kaum geeignet.

Auf den jährlichen Klimagipfeln der Vereinten Nationen (Conference of the Parties, COPs) diskutiert die Welt die schwierigen Fragen, die mit der Eindämmung des Klimawandels und dem Umgang mit der Realität des sich verändernden Klimas zusammenhängen. Für die Verabschiedung aller offiziellen Dokumente ist ein Konsens erforderlich. Das bedeutet, dass Fortschritte in der Regel langsam und klein sind. Verhandlungen bis spät in die Nacht und Änderungen von Schlüsselbegriffen und -passagen in letzter Minute sind keine Seltenheit. Die daraus resultierenden Vereinbarungen stellen im Allgemeinen den kleinsten gemeinsamen Nenner dar. So wurde beispielsweise noch in keinem COP-Dokument die Notwendigkeit eines Ausstiegs aus der Nutzung fossiler Brennstoffe (ohne Verringerung der Treibhausgasemissionen), der Hauptursache des globalen Klimawandels, festgeschrieben. Stattdessen wurde in der bisher deutlichsten Erklärung dazu aufgerufen, die Nutzung von Kohle „schrittweise“ zu beenden.

Klimagerechtigkeit als Hauptthema der Verhandlungen

Das siebenundzwanzigste Treffen dieser Art (COP27) fand im November 2022 in Sharm el Sheikh, Ägypten, statt. Klimagerechtigkeit war das Hauptthema des Treffens. Die Diskussionen drehten sich um Geld für die Entwicklungsländer: Finanzierung von Projekten für saubere Energie, Finanzierung der Anpassung an den bereits unvermeidlichen Wandel und Zahlungen für Verluste und Schäden, die durch Treibhausgasemissionen im Lauf der Geschichte entstanden sind. Diese Themen gehören zu den heikelsten in den globalen Klimaverhandlungen, sind aber für die Entwicklungsländer von entscheidender Bedeutung. Die Verhandlungen über die Finanzierung von Investitionen in den Entwicklungsländern waren in diesem Jahr besonders schwierig. Wegen der knappen Energieversorgung seit dem Einmarsch Russlands in der Ukraine, der steigenden Inflation und der Angst vor einer wirtschaftlichen Rezession war es ein schlechter Zeitpunkt, um sich auf finanzielle Zusagen zu einigen.

Neben den schwierigen offiziellen Verhandlungen haben sich die COPs jedoch auch zu globalen Treffen von Wirtschaftsführern, Bankern, Politikern, Vertretern der Zivilgesellschaft und Wissenschaftlern entwickelt. An der COP27 nahmen mehr als 35.000 Personen teil, von denen weniger als die Hälfte Vertreter der an den offiziellen Verhandlungen teilnehmenden Regierungen waren. Einige der interessantesten Vereinbarungen im Zusammenhang mit den letzten COPs wurden bei Nebentreffen getroffen, darunter die Globale Methan-Verpflichtung und Vereinbarungen zur Finanzierung des Kohleausstiegs in Südafrika und Indonesien. Seit dem Abschluss des Pariser Abkommens im Jahr 2015 sind die meisten Fortschritte auf den COPs außerhalb des offiziellen Prozesses erzielt worden.

Diese Nebenvereinbarungen sind erfolgreich, weil sie nicht den im offiziellen UN-Prozess erforderlichen Konsens erreichen müssen. Koalitionen der Willigen können sich darauf einigen, Maßnahmen zu ergreifen, ohne sich Gedanken darüber zu machen, ob widerspenstige Länder mit an Bord kommen. Darüber hinaus können Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen bei der Vermittlung von Vereinbarungen helfen, finanzielle Unterstützung leisten und ihre Kreativität einbringen. Kleinere, spezifischere Vereinbarungen können als Experimentierfeld für neue Finanzierungs- und Emissionsminderungsstrategien dienen.

Deals am Rand lassen arme Länder zurück

Diese positiven Entwicklungen am Rande sind ermutigend und stellen ernsthafte Verpflichtungen zur Emissionsreduzierung dar, aber sie lassen die Ärmsten der Welt weiterhin zurück. Obwohl die Armen am stärksten unter dem Klimawandel leiden, werden die finanziellen Verluste durch den Klimawandel in der reichen Welt am größten sein, weil es dort mehr zu verlieren gibt. Daher konzentrieren sich die Abkommen mit den Entwicklungsländern in der Regel auf sehr große Entwicklungsländer, in denen erhebliche Emissionen reduziert werden müssen. Diese Märkte bieten auch Gelegenheiten für lukrative Geschäfte. So kann die Aussicht auf positive Cashflows aus Investitionen in saubere Energie für Investoren attraktiv sein, wenn die Vereinbarungen Komponenten zur Risikominderung enthalten.

Die zentralen Fragen der Klimagerechtigkeit erfüllen jedoch oft nicht die Bedingungen, die für ein erfolgreiches Nebenabkommen erforderlich sind. Die oft übersehenen Anstrengungen zur Entwicklung kohlenstoffarmer Energiesysteme in den ärmsten Teilen der Welt versprechen weder große Profite noch eine signifikante Emissionsminderung. Anpassungsprojekte in Entwicklungsländern haben ähnliche Nachteile, da ihre Erträge eher in vermiedenen Schäden als in Profiten bestehen. Und schließlich sind Zahlungen für klimabedingte Verluste und Schäden in Ländern, die nur wenig zu den heutigen Treibhausgasen in der Atmosphäre beigetragen haben, eine Frage der Gerechtigkeit und Fairness, aber auch eine reine Haftungsfrage, die keine Geschäftsvereinbarung jemals abdecken wird.

Diese wichtigen Gerechtigkeitsfragen werden den offiziellen COP-Verhandlungen überlassen, bei denen nur langsam Fortschritte erzielt werden, weil Konsens erforderlich ist und Zusagen oft nicht eingehalten werden. Auf der COP15 in Kopenhagen 2009 versprachen die wohlhabenden Länder, den Entwicklungsländern bis 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar zur Verfügung zu stellen, um sie bei der Anpassung an den Klimawandel und bei der Verringerung der Treibhausgasemissionen zu unterstützen. Diese Zusage ist noch nicht eingelöst.

Fortschritt bei "Verlust und Schäden"

Auf der COP27 erzielten die Länder Fortschritte bei einem zentralen Thema der Klimagerechtigkeit: Verluste und Schäden. Die reichen Länder einigten sich darauf, einen Fonds einzurichten, der Entwicklungsländer für klimabedingte Verluste und Katastrophen entschädigen soll. Dies ist ein großer Schritt. Die USA und die EU sind die beiden größten kumulativen Verursacher von Treibhausgasemissionen im Zeitverlauf, aber beide lehnten auf der Konferenz diesen Entschädigungsfonds noch ab.

Die Vereinbarung über die Einrichtung des Fonds legt weder einen Mechanismus für Einzahlungen in den Fonds noch für die Beantragung von Geldern aus dem Fonds durch die Staaten fest. Diese Frage wurde der COP28 überlassen, die für November 2023 in Dubai geplant ist. Wieder einmal müssen die Entwicklungsländer abwarten, bis der auf Konsens basierende Prozess abgeschlossen ist.

Ich sehe keine einfache Lösung für dieses Problem. Ich habe oft darüber geschrieben und davon gesprochen, dass die wirklichen Verhandlungen am Rande der COPs stattfinden, um angesichts der langsamen Fortschritte im Verhandlungssaal wenigstens etwas Optimismus zu verbreiten. Mit der Zeit habe ich jedoch eine wesentliche Einschränkung dieses Ansatzes erkannt: Er lässt die Armen naturgemäß außen vor. Eine Änderung des Pariser Abkommens, um Fortschritte zu erzwingen, ist nicht sinnvoll, weil die Freiwilligkeit des Pariser Abkommens dessen Erfolg überhaupt erst ermöglicht hat. Vielleicht können die wohlhabenden Länder in Erwägung ziehen, den ärmsten Ländern Mittel aus einem Neben-Etat zur Verfügung zu stellen, während sie ihre Nebenabsprachen zur Emissionsreduzierung aushandeln. Die derzeitige Situation ist eine Fortsetzung des Status quo, bei dem die Armen ständig zu kurz kommen.

Samantha Gross rund grau 30p


Samantha Gross ist Direktorin der Energy Security and Climate Initiative bei Brookings und Brookings - Robert Bosch Foundation Transatlantic Initiative Fellow der Robert Bosch Academy. In ihrem Podcast "Climate Sense" spricht Samantha mit anderen Expert:innen aus unterschiedlichen klimabezogenen Bereichen und beleuchtet verschiedene Aspekte des Klimawandels.

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