Deutschlands neue Partei der Mitte? Die Grünen im Blick
Die Grünen in Deutschland haben sich von ihren radikalen Ursprüngen in den 1980er Jahren hin zu einer attraktiven Kraft der Mitte entwickelt, die immer größere Wahlerfolge verzeichnen kann. Im Vorfeld der Bundestagswahlen vom Herbst 2021 sind sie ein aussichtsreicher Kandidat für eine Regierungskoalition. Der konstruktive Politikstil und die hoffnungsvollen Botschaften der Grünen könnten ein Modell sein, um der Polarisierung entgegenzuwirken, die andere westliche Demokratien spaltet.
Von Amanda Sloat
Die Gesellschaften auf beiden des Transatlantischen Bündnisses leiden unter einer starken Polarisierung, Umwälzungen in der politischen Landschaft und Zweifeln an der liberalen Ordnung. Der Rückzug Amerikas, Chinas wachsender Einfluss, die Klimakrise, größer werdende ökonomische Ungleichheiten und die Coronavirus-Pandemie fachen diese Sorgen noch weiter an. Als Antwort darauf ist eine Generation gemäßigter Politiker herangewachsen, die einen neuen Politikstil pflegt, der hoffnungsvolle und vereinende Botschaften sendet. Die deutschen Grünen, die ein heißer Anwärter auf einen Platz in einer zukünftigen Regierungskoalition des Landes sind, gehören zu dieser politischen Bewegung.
Bis zum Ausbruch des Coronavirus gab es sich ein entwickelndes Narrativ in der deutschen Politik. Die seit langem regierende Koalition zwischen der Christlich-Demokratischen Union (CDU) von Angela Merkel und der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) hatte an Dynamik verloren. Der traditionelle politische Rechts-Links-Gegensatz, den diese beiden Parteien verkörpern, wurde von einem neuen Konflikt zwischen autoritären und liberalen Parteien infrage gestellt. Auf der einen Seite stand die Alternative für Deutschland (AfD), eine rechtspopulistische Partei, die während der „Migrationskrise“ von 2015 ihren politischen Aufstieg hatte. Auf der anderen Seite stand die Partei der Grünen, die sich von ihren radikalen Ursprüngen in den 1980er Jahren zu einer attraktiven Kraft der Mitte entwickelt hat, die immer größere Wahlerfolge verzeichnen kann. Die Grünen haben die gegenwärtigen sozialen Veränderungen klar erkannt, sind der Angstmacherei der extremen Rechten entgegengetreten und haben gegenüber den Parteien links der Mitte mit progressiven politischen Inhalten an Boden gewonnen. Sie haben einen konstruktiven Ansatz entwickelt, der die Bildung von Koalitionen und positive Rhetorik betont. Doch auf Bundesebene müssen sich diese Grünen noch beweisen. Außerdem sieht sie sich schon länger andauernden internen Streitigkeiten gegenüber und hat nur begrenzte Unterstützung in den neuen Bundesländern. Ihr Politikansatz, der die gesellschaftliche Mitte im Blick hat, birgt auch Risiken.
Diese Studie will einen umfassenden Überblick über die Partei der Grünen geben – einschließlich ihrer Geschichte, ihrer Wahlchancen und ihrer außenpolitischen Ansichten. Es lohnt sich, auf die Grünen im Vorfeld der Bundestagswahlen im Herbst 2021 zu achten. Schließlich kann die Partei zum Königsmacher der nächsten Regierungskoalition avancieren. Die Grünen können zudem ein Fallbeispiel für Parteien in westlichen Demokratien abgeben, die versuchen, das politische Zentrum zu stabilisieren.
Ich beginne meinen Artikel damit, den Weg der Partei vom äußeren linken Rand in die politische Mitte nachzuzeichnen. Anschließend erforsche ich die steigende Popularität der Grünen in den vergangenen Jahren und gehe den strukturellen politischen Faktoren in der deutschen Politik nach: der Aushöhlung der politischen Mitte, den Aufstieg der äußersten Rechten und den sich verstärkenden Sorgen aufgrund des Klimawandels. Die Studie untersucht auch, wie sich die Partei durch die Wahl von dynamischem Spitzenpersonal verändert hat. Sie hat zudem ihren internen Zusammenhalt gestärkt und nach außen einen Ansatz vertreten, der mehr Bevölkerungsgruppen anspricht. Zum Schluss bewertet die Studie die Wahlaussichten der Grünen und ihre Ansichten zu außenpolitischen Themen, die für die transatlantische Community interessant sind.
Amanda Sloat ist Robert Bosch Senior Fellow am Center on the United States and Europe an der Brookings Institution (derzeit freigestellt). Im Rahmen der Brookings - Robert Bosch Foundation Transatlantic Initiative widmete sie einen Teil ihres Aufenthalts an der Robert Bosch Academy der Forschung für diese Studie.
Lesen Sie die gesamte Studie (in Englisch)
Quarterly Perspectives
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