Wie wir ethnisches Profiling hinter uns lassen: Strategien, um struktureller Ungerechtigkeit zu begegnen
Ethnisches Profiling - die Praxis, Rasse, ethnische Zugehörigkeit oder Nationalität als Indikatoren für Kriminalität oder für Verdächtigungen heranzuziehen - wird oft als Maßnahme zur Verbrechensprävention und zur Gewährleistung der nationalen Sicherheit gesehen. Studien zeigen jedoch, dass solche Praktiken nicht nur ineffektiv, sondern auch kontraproduktiv sind.
von Reetta Toivanen
Eine Geschichte über Ungerechtigkeit
„Ich stand regungslos da, achtete darauf, dass meine Hände zu sehen waren, und wartete. Zugpassagiere glitten an mir vorbei und warfen mir Blicke zu. Ich schämte mich. Ich schämte mich für mich selbst, weil ich mich wieder wie ein 14-Jähriger fühlte und Angst hatte, die Polizei durch meine Körpersprache zu provozieren. Ich schämte mich, weil ich mich gegen die unrechtmäßige Kontrolle nicht wehren konnte. Ich schämte mich, weil mich alle um mich herum offenbar für einen Kriminellen hielten. Minuten vergingen – eine, fünf, fünfzehn – und kamen mir wie eine Ewigkeit vor. Dann kam der Polizist mit meinem Ausweis zurück, murmelte etwas, das nach Enttäuschung darüber klang, dass ich keinen Aufstand gemacht hatte, wünschte mir noch einen schönen Tag und gab mir meine Papiere zurück.“
Diese Geschichte, die mir während meiner Zeit in Berlin erzählt wurde, ist kein Einzelfall. Viele Menschen aus marginalisierten Communities berichten von ähnlichen Erfahrungen: Sie fühlen sich von klein auf kriminalisiert, machen sich unsichtbar, um Kontakt mit der Polizei zu vermeiden, und wissen, dass es sinnlos wäre, nach Gerechtigkeit zu streben, selbst wenn ihre Rechte verletzt werden. Der systemische Charakter des ethnischen Profiling bedeutet, dass solche Begegnungen keine Ausnahmen sind, sondern Symptome eines umfassenderen strukturellen Problems in der Strafverfolgung.
Während meines Richard von Weizsäcker Fellowships an der Robert Bosch Academy im Frühjahr 2024 konnte ich mich mit dem anhaltenden Problem des ethnischen und Racial Profiling in der deutschen Polizeiarbeit befassen. Ich bin der Academy für ihre großzügige Unterstützung und den vielen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern – Wissenschaftler:innen, Aktivistinnen und Aktivisten, Vertreter:innen von Communities und Polizeibeamt:innen – sehr dankbar, die ihr Fachwissen und ihre Perspektiven mit mir geteilt haben. Der folgende kurze Beitrag fasst die wichtigsten Erkenntnisse aus diesen bereichernden Gesprächen zusammen.
Ethnisches Profiling verstehen
Ethnisches Profiling, also die Praxis, Rasse, ethnische Zugehörigkeit oder Nationalität als Indikatoren für Kriminalität oder für Verdächtigungen heranzuziehen, ist nach wie vor ein tief verwurzeltes Problem in Institutionen weltweit. Es äußert sich in unverhältnismäßiger Überwachung, ungerechtfertigten Kontrollen und Durchsuchungen sowie Festnahmen aufgrund von Voreingenommenheit. Diese diskriminierenden Praktiken verletzen grundlegende Menschenrechte, untergraben das Vertrauen in die Strafverfolgungsbehörden und tragen zur Aufrechterhaltung sozialer Spaltungen bei.
Strafverfolgungsbehörden rechtfertigen ethnisches Profiling oft als Maßnahme zur Verbrechensprävention und zur Gewährleistung der nationalen Sicherheit. Studien zeigen jedoch, dass solche Praktiken nicht nur ineffektiv, sondern auch kontraproduktiv sind. Anstatt die Sicherheit zu fördern, entfremden sie Communities und erschweren deren Kooperation mit den Behörden.
Die Auswirkungen ethnischer Profilerstellung auf Communities
Die Folgen ethnischer Profilerstellung gehen über den belastenden Moment der Kontrolle hinaus. Betroffene Communities erleben erhöhte Angst, Misstrauen und Entfremdung, was zu einer Zurückhaltung gegenüber Behörden führt. Dieses erschütterte Vertrauen behindert die Strafverfolgung, weil die Kooperation seitens der Bevölkerung für eine effektive Polizeiarbeit von entscheidender Bedeutung ist.
Darüber hinaus verstärkt ethnisches Profiling negative Stereotypen und verschärft bestehende sozioökonomische Ungleichheiten. Die wiederholte Kriminalisierung von Personen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit führt zu psychischen Belastungen, Ängsten und einem verminderten Selbstwertgefühl. Im Laufe der Zeit tragen diese Erfahrungen zu langfristigen psychischen Problemen und einer verminderten sozialen Mobilität für marginalisierte Gruppen bei.
Strategien zur Überwindung von ethnischem Profiling
Die Bekämpfung von ethnischem Profiling erfordert einen umfassenden Ansatz, der sowohl institutionelle Maßnahmen als auch gesellschaftliche Einstellungen berücksichtigt. Ich möchte mich bei meinen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern, den Polizeibeamt:innen und Ausbilder:innen in Berlin und anderen Orten in Deutschland bedanken. Ich bin den Aktivistinnen und Aktivisten der Zivilgesellschaft, die für eine gerechtere Gesellschaft kämpfen, sowie den Wissenschaftler:innen, die mit mir über ihre Ansichten gesprochen haben, sehr dankbar. Ich bin überzeugt, dass die folgenden Punkte von allen geteilt werden.
1. Umsetzung von Maßnahmen gegen Profiling
Regierungen und Strafverfolgungsbehörden müssen politische und rechtliche Maßnahmen ergreifen und durchsetzen, die ethnisches Profiling ausdrücklich verbieten. Diese Maßnahmen sollten Unparteilichkeit, Professionalität und die Achtung der Menschenrechte in den Vordergrund stellen. Rechtliche Rahmenbedingungen müssen diese Maßnahmen unterstützen, indem sie Rechenschaftspflicht gewährleisten und Opfern Rechtsbehelfe zur Verfügung stellen.
2. Schulung und Sensibilisierung
Beamt:innen der Strafverfolgungsbehörden sollten obligatorische Schulungen zu kultureller Kompetenz, impliziter Voreingenommenheit und Deeskalationstechniken absolvieren. Kontinuierliche Weiterbildung ist unerlässlich, um Stereotypen zu hinterfragen und Empathie für die verschiedensten Communities zu fördern. Szenariobasierte Schulungen können den Beamtinnen und Beamten helfen, die realen Folgen von ethnischem Profiling zu verstehen.
3. Datenerhebung und Überwachung
Die systematische Erhebung von Daten über Polizeikontrollen, Durchsuchungen und Festnahmen ist entscheidend, um Muster von ethnischem Profiling zu erkennen. Transparenz bei der Berichterstattung und unabhängige Kontrollmechanismen sind notwendig, um Institutionen zur Rechenschaft zu ziehen und evidenzbasierte Reformen voranzutreiben. Der öffentliche Zugang zu solchen Daten stellt sicher, dass diskriminierende Praktiken nicht verschleiert, sondern aktiv bekämpft werden.
4. Einbindung der Communities
Der Aufbau von Vertrauen zwischen den Strafverfolgungsbehörden und den betroffenen Communities ist für einen sinnstiftenden Wandel unerlässlich. Regelmäßiger Dialog, Initiativen zur bürgernahen Polizeiarbeit und Partnerschaften mit zivilgesellschaftlichen Organisationen können dazu beitragen, die Kluft zwischen marginalisierten Gruppen und den Strafverfolgungsbehörden zu überbrücken. Gemeinschaftliche Aufsichtsgremien sollten ebenfalls die Praktiken der Polizei überwachen und bei notwendigen Reformen beratend tätig werden.
5. Rechtliche Mittel und Rechenschaftspflicht
Die Stärkung möglicher Rechtsmittel für Opfer ethnischer Profilerstellung ist von entscheidender Bedeutung, um Gerechtigkeit sicherzustellen. In Berlin wurde 2020 das Landesantidiskriminierungsgesetz eingeführt, um den rechtlichen Schutz vor Rassismus und Diskriminierung in öffentlichen Einrichtungen zu verbessern, einschließlich der Polizei. Solche Gesetze dienen als Vorbild für andere Bundesländer (oder den Bund, wenn es um den Zuständigkeitsbereiche der Bundesbehörden geht), die eine stärkere institutionelle Rechenschaftspflicht anstreben. Unabhängige Untersuchungsgremien sollten Fälle von Diskriminierung überwachen und bei Fehlverhalten Disziplinarmaßnahmen verhängen.
6. Förderung der Vielfalt in Führungspositionen der Strafverfolgungsbehörden
Vielfalt und Inklusion in den Strafverfolgungsbehörden sind entscheidend, um sicherzustellen, dass die Polizeiarbeit die Communities widerspiegelt, denen sie dient. Die Einstellung, Bindung und Beförderung von Beamt:innen mit unterschiedlichem Hintergrund kann zu einer kulturell sensibleren Polizeiarbeit führen. Führungspositionen sollten repräsentativ für die breitere Bevölkerung sein, um einen inklusiveren und gerechteren Ansatz für die öffentliche Sicherheit zu fördern.
Fazit: Die Rolle von Politik und Gesetzgebung
Während internationale Abkommen zu Menschenrechten rassistische Diskriminierung verbieten, sind die Durchsetzungsmechanismen innerhalb vieler Staaten nach wie vor schwach. Die Europäische Union verfügt beispielsweise über gesetzliche Bestimmungen zur Bekämpfung von Rassismus und Diskriminierung in der Strafverfolgung. Ohne starke nationale Umsetzungs- und Überwachungsmechanismen ist die Wirksamkeit dieser EU-Bestimmungen jedoch begrenzt. Das Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz ist ein Beispiel für progressive rechtliche Maßnahmen gegen ethnisches Profiling. Durch die Verringerung der Beweislast für Opfer und die Befähigung von Antidiskriminierungsorganisationen, Rechtsstreitigkeiten zu führen, erhöht das Gesetz die Wahrscheinlichkeit, dass diskriminierende Praktiken erkannt und bekämpft werden. Die Ausweitung ähnlicher rechtlicher Rahmenbedingungen auf andere Regionen könnte einen wesentlichen Beitrag zum umfassenderen Kampf gegen ethnisches Profiling leisten.
Ethnisches Profiling ist eine systemische Ungerechtigkeit, die die Grundsätze der Gleichheit, der Gerechtigkeit und der Menschenrechte untergräbt. Die Bekämpfung dieses weit verbreiteten Problems erfordert gemeinsame Anstrengungen von politischen Entscheidungsträger:innen, Strafverfolgungsbehörden, politischen Amtsinhaber:innen auf lokaler Ebene und zivilgesellschaftlichen Organisationen. Durch die Umsetzung von Maßnahmen gegen Profiling, die Förderung kultureller Kompetenz, die Einbeziehung betroffener Communities und die Stärkung von Mechanismen zur Rechenschaftspflicht können Gesellschaften auf eine gerechtere und gleichberechtigtere Zukunft hinarbeiten.
Reetta Toivanen ist eine Richard von Weizsäcker Fellow der Robert Bosch Academy
Quarterly Perspectives
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