Der Blick zurück: Oby Ezekwesili

September 2020

Obiageli "Oby" Ezekwesili, die ehemalige Vizepräsidentin der Weltbank (Region Afrika) and Gründungsdirektorin von Transparency International, wirft im Interview einen Blick zurück auf ihr Fellowship an der Robert Bosch Academy.

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Wie bewerten Sie im Rückblick Ihr Fellowship an der Robert Bosch Academy?

Ich hatte mir vorgenommen, ein Modell des strukturellen Wandels der Politik beziehungsweise der politischen Kultur in Afrika und dessen Auswirkungen auf einzelne Länder, speziell auf Nigeria, zu entwerfen. Einige Monate nach dem Ende meines Fellowships gehen meine Pläne gut voran, auch wenn sie durch die Auswirkungen von Covid-19 gebremst werden. Das Modell für den strukturellen Wandel in der nigerianischen Politik resultiert aus meinen Studien, meinen Analysen und meinen Bewertungen zum Zusammenhang zwischen der Qualität der nationalen politischen Prozesse und dem ökonomischen Fortschritt in verschiedenen Ländern. Dabei nutze ich die Erfahrungen Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg als Fallbeispiel. Das Fellowship hat mir inspirierende Erkenntnisse beschert, die ein neues Licht auf die politische Geschichte Nigerias und die miserable wirtschaftliche Leistung des Landes seit 1960 werfen.

Die Robert Bosch Academy hat mir eine Mischung aus akademischen Möglichkeiten und vielfältigen Erfahrungen geboten, die für meine Arbeit essentiell waren. Das Ergebnis ist eine auf meinen wissenschaftlichen Erkenntnissen basierende Road Map mit vier zentralen Wegmarken:

  1. Ein Demokratiedefizit zeigt sich beispielhaft in Ländern, die sich im Übergang von autoritären Regimen zu demokratischen Regierungen befinden, jedoch daran scheitern, die Lebensqualität ihrer Bevölkerung zu verbessern. Dadurch verlieren sie allmählich an öffentlicher Legitimität.
  2. Neben anderen Faktoren ist es die Qualität der politischen Prozesse der Länder, die ihre Regierungsführung grundlegend bestimmt. Diese wiederum verbessert oder verschlechtert die Lebensqualität einer Bevölkerung. Das Streben nach guter Regierungsführung muss deshalb mit der Verbesserung der politischen Kultur einer Gesellschaft und der in ihr akzeptierten Anreize und Ergebnisse beginnen.
  3. Um eine bessere Regierungsführung zu erreichen, sollte eine strukturelle, systemische Herangehensweise gewählt werden, die die ökonomischen Grundlagen der Marktwirtschaft widerspiegelt und die Ebenen des politischen Wettbewerbs festlegt.
  4. Das Ausmaß des politischen Wettbewerbs in einem Land wird von folgenden Faktoren bestimmt: dem Engagement seiner Bürger als informiertes und aktives Wahlvolk; der Qualität der politischen Klasse und der Politiker, die um politische Ämter wetteifern; und der institutionellen Integrität des politischen Regelsystems und seines Umfelds.


Was waren die wichtigsten Erfahrungen während Ihres Fellowships?

Der Roundtable, den die Academy im Oktober 2019 in Berlin für ausgewählte Mitglieder der Work Study Group veranstaltet hat. Diese Gruppe hatte ich ins Leben gerufen, um die #FixPolitics Initiative mitzugestalten. Wie der Roundtable war auch die gemeinsame Konferenz in Lagos (Nigeria) ein entscheidender Moment. Diese beiden Ereignisse haben dazu beigetragen, eine starke Anhängerschaft für die Mission von #FixPolitics zu gewinnen. Und sie haben der Initiative dabei geholfen, ihre Anliegen glaubwürdig in der Öffentlichkeit zu vertreten.

Absolute Höhepunkte waren für mich die persönlichen Erfahrungen, die ich während meines Fellowships gemacht habe. Die Academy hat es hervorragend geschafft, die richtige Mischung an Entscheidern aus der deutschen Politik und Wirtschaft für mein Gesprächsprogramm auszuwählen, mit denen ich mich ausgetauscht habe. Die über 20 Treffen haben mein Wissen über die Erfahrungen Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg erheblich bereichert. Das gilt auch für meine Kenntnisse der deutschen politischen Institutionen und der Wirtschaft.

Ergänzt wurden diese persönlichen Vieraugengespräche durch meine öffentlichen Auftritte als Rednerin bei Veranstaltungen in Berlin und anderen deutschen Städten, sowohl als Keynote Speaker als auch als Diskussionsteilnehmerin. Die Debatten auf diesen Veranstaltungen waren gewöhnlich sehr offen und fruchtbar – die Art von Diskussion, die dazu beiträgt, starke, offene Gesellschaften aufzubauen. Sie waren für mich eine wichtige Gelegenheit, mehr über deutsche Bürger und ihre Rolle bei der Weiterentwicklung von Demokratie und Wirtschaft zu lernen.

Ich werde die Academy, Berlin und Deutschland als einen Inkubator für die #FixPolitics Initiative im Gedächtnis behalten. Und als ein Leitbild für die Evaluation der von den nigerianischen Bürgern getragenen Vision in den kommenden Jahren, in denen wir unsere taumelnde Demokratie wieder auf den richtigen Weg zurückführen wollen, um unseren Stillstand zu überwinden.
 

Wie haben Sie die Fellow-Community wahrgenommen?

Die Academy wählt ihre Fellows hervorragend aus, sodass auch untereinander ein tiefgreifender Lernprozess stattfindet. Die Vielfalt an Wissen und Erfahrungen führte zu außerordentlich erkenntnisreichen Diskussionen, in der Tiefe und in der Breite der Themen. Einige meiner Kollegen forschen zu Themengebieten, die sich mit meinen Interessenbereichen überschneiden. Deshalb haben unsere Gespräche beim Mittagessen dienstags und donnerstags meine eigene Forschung durch eine globale Perspektive bereichert. Wie nützlich diese Verbundenheit ist, zeigt sich auch daran, dass ich mich mit einigen von ihnen noch immer austausche und sie zu engen Freunden bei der gegenseitigen Unterstützung unserer Arbeit geworden sind.

Die Academy-on-Tour-Events, wie zum Beispiel das in Mecklenburg-Vorpommern, waren weitere sehr wichtige Lerngelegenheiten für mich, nicht nur aus dem weitergespannten Netz der teilnehmenden Fellows, sondern auch durch die Begegnungen mit Städten, Themen und Bürgern. Der vielseitige Hintergrund der Fellows bereichert die globale Sichtweise auf Themen, die unsere Welt beeinflussen. Diese Vielfalt fördert die Toleranz und das gegenseitige Verständnis und hilft uns auch dabei, verschiedene Meinungen respektvoll anzuerkennen.
 

Was haben Sie während Ihres Aufenthalts über Deutschland und Berlin gelernt?

Mein Fellowship fiel auf den 30. Jahrestag des Mauerfalls. Das hat mein Wissen und mein Verständnis dafür geschärft, wie sehr ein Land und seine Bevölkerung sich in 30 Jahren verändern können. Während meines Aufenthalts habe ich gesehen, dass die deutsche Wiedervereinigung eine Reise mit vielen Stationen bleibt. Keine Gesellschaft wird sich je zu einem politischen und ökonomischen Eldorado entwickeln.

Berlin wird immer die europäische Stadt sein, in der ich, abgesehen von meiner Heimat, am angenehmsten leben kann. Das liegt an der schieren Bandbreite der intellektuell befruchtenden Netzwerke, die mir nun offenstehen.

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