Die Versorgungslücke schließen: Klimakrise, humanitäre Hilfe und klimasensible Maßnahmen

September 2024

Unser neues Ziel: langfristige Resilienz statt kurzfristiger Hilfe

von Nisreen Elsaim

Die Versorgungslücke schließen: Klimakrise, humanitäre Hilfe und klimasensible Maßnahmen

Die Klimakrise eskaliert weiter, mit verheerenden Folgen für vulnerable Bevölkerungsgruppen weltweit. Dennoch klafft in der Reaktion der humanitären Hilfe eine bedenkliche Lücke, insbesondere in von Konflikten betroffenen Regionen. Die humanitären Bemühungen konzentrieren sich häufig auf Soforthilfe, ohne langfristige Maßnahmen zur Stärkung der Klimaresilienz einzubeziehen, was die Vulnerabilität der Bevölkerung noch verschlimmert. Im Folgenden untersuche ich die Notwendigkeit klimasensibler humanitärer Maßnahmen und konzentriere mich dabei auf die komplexe Nothilfe im Sudan inmitten von klimabedingten Katastrophen und Konflikten.

Klima und Konflikte

Der Klimawandel hat katastrophale Folgen für bereits geschwächte Communities. Im Sudan sind durch die Kombination von Klimawandel und anhaltenden Konflikten über 25 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen und mehr als 10,7 Millionen Menschen sind Binnenvertriebene.[1] Es wird erwartet, dass diese Zahlen weiter steigen, weil durch klimabedingte Katastrophen weiterhin Tausende im ganzen Land vertrieben werden. Diese Realität spiegelt sich auch weltweit wider, wo Millionen von Menschen durch klimabedingte Katastrophen wie Überschwemmungen, Dürren und Stürme aus ihren Häusern vertrieben werden.[2]

Obwohl die UN-Initiative für systematische Frühwarnungen für alle die Bedeutung der Katastrophenvorsorge und klimasensibler Maßnahmen hervorhebt, werden diese Gesichtspunkte bei vielen humanitären Hilfseinsätzen nicht berücksichtigt.[3] Im Sudan werden bei der Zuteilung von Hilfsmaßnahmen weiterhin die langfristigen Auswirkungen des Klimawandels außer Acht gelassen. Stattdessen konzentrieren sich die Gelder weiter auf Soforthilfe. So hat das UNHCR für die humanitären Maßnahmen im Sudan im Jahr 2024 rund 2,7 Milliarden US-Dollar bereitgestellt.[4] Die Mittel werden jedoch für Soforthilfemaßnahmen eingesetzt, die den Klimawandel nicht berücksichtigen. So enthält beispielsweise die Hilfe für die Vertriebenen-Sammelstellen in den drei Bundesstaaten Kassala, im Ash Shamaliyah und Rotes Meer keine Vorkehrungen für die Bewältigung von Klimakrisen. Diese mangelnde Berücksichtigung des Klimas bei humanitären Maßnahmen untergräbt die Widerstandsfähigkeit der Communities, die schon heute mit den sich verstärkenden Auswirkungen von Konflikten und Klimastress zu kämpfen haben.

Die Kosten der Klima-Ignoranz

Eine unzureichende Reaktion auf den Klimawandel in konfliktbetroffenen Regionen birgt große Risiken. Eine Studie, in der Modelle für die Zuteilung von Hilfsgeldern in Afrika verglichen wurden, zeigt, dass die Nichtberücksichtigung von Klimafaktoren bei der humanitären Hilfe zu einer Fehlanpassung führen kann, bei der unmittelbare, kurzfristige Hilfsbemühungen unbeabsichtigt die langfristige Vulnerabilität verschlimmern.[5] Dies ist beispielsweise im Sudan der Fall, wo die Hilfsmaßnahmen keine nachhaltigen Lösungen wie dürreresistente Landwirtschaft oder Strategien zur Eindämmung von Überschwemmungen umfassen.

Die verheerenden Auswirkungen der klimabedingten Überschwemmungen im Sudan sind erschütternd: In 16 Bundesstaaten sind schätzungsweise 317.000 Menschen betroffen, darunter 118.000 Vertriebene. Die Überschwemmungen zerstörten fast 27.000 Häuser und beschädigten mehr als 31.000, weshalb Tausende von Familien dringend auf ein Schutzdach angewiesen sind. Die heftigen Regenfälle haben auch den humanitären Bemühungen einen schweren Schlag versetzt, weil lebenswichtige Vorräte wie Lebensmittel und medizinische Ausrüstung zerstört wurden. In der Stadt Kassala wurden beispielsweise 190 Zelte in einer Sammelunterkunft für vertriebene Familien beschädigt, was die Probleme weiter verschärft.[6] Die Gefahr des Ausbruchs von Krankheiten ist groß, vor allem angesichts des anhaltenden Hochwassers und der kürzlich vom sudanesischen Gesundheitsministerium bestätigten 268 Cholerafälle und 17 Todesfälle.[7] Durch die Überschwemmungen werden nicht nur Familien vertrieben, sondern auch die Gesundheits- und die Sanitärinfrastruktur sowie das Bildungssystem untergraben, so dass eine ohnehin gefährdete Bevölkerung am Rande einer Katastrophe steht.

Klimasensible Interventionen

Herkömmliche Konzepte der humanitären Hilfe sind für die Komplexität des Klimawandels schlecht gerüstet. Wie der UN-Bericht Global Humanitarian Overview des Amtes der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) erläutert, muss die humanitäre Hilfe Strategien zur Verringerung der Klimavulnerabilität einbeziehen, insbesondere in Konfliktregionen.[8] Geschieht dies nicht, erhöht sich nicht nur das Risiko der Ressourcenerschöpfung, sondern lokale Konflikte um Wasser, Land und Energie werden noch weiter verschärft. In vielen Regionen des Sudan, wie den Staaten des Ostsudan, des Nordsudan und Darfur, in denen der Wettbewerb um knappe Ressourcen eine wichtige Triebkraft für Konflikte ist, könnte die Integration klimasensibler Maßnahmen in Hilfsprogramme Spannungen abbauen und den langfristigen Frieden fördern.

Ein warnendes Beispiel für humanitäre Bemühungen, die keine Klimagesichtspunkte berücksichtigen, ist die Hilfe des UNHCR in den sudanesischen Bundesstaaten Kassala und Rotes Meer. Trotz der Finanzierung von Nothilfe wurden keine Maßnahmen zur Verbesserung der Klimaresilienz ergriffen. Als Folge sind die dortigen Communities durch Überschwemmungen gefährdet und müssen massive Verluste von humanitären Hilfsgütern hinnehmen.[9] Im Gegensatz dazu kann die Integration von Klimaresilienzstrategien wie nachhaltiges Wassermanagement und Hochwasserschutz in die humanitäre Hilfe die langfristige Stabilität fördern und künftige Risiken verringern.[10][11]

Resilienz durch klimagerechte Interventionen

Um diese Probleme anzugehen, muss die humanitäre Hilfe weiterentwickelt werden. Es gibt mehrere Strategien, um die Klimaresilienz in die Nothilfe einzubeziehen:

Frühwarnsysteme: Der Ausbau von Frühwarnsystemen für Überschwemmungen und Dürren ist im Sudan, wo Gemeinschaften häufig unter unvorhersehbaren klimabedingten Katastrophen leiden, von entscheidender Bedeutung. Die Stärkung dieser Systeme und die Verbesserung der Katastrophenvorsorge werden dazu beitragen, gefährdete Bevölkerungsgruppen zu schützen, insbesondere in überschwemmungsgefährdeten Gebieten wie am Nil und in den nördlichen Bundesstaaten.

Hochwassermanagement und Verbesserung der Infrastruktur: Im Sudan kommt es aufgrund der schlechten Infrastruktur und der unzureichenden Entwässerungssysteme zu schweren Überschwemmungen. Investitionen in den Hochwasserschutz wie Deiche, verbesserte Entwässerung und Uferbefestigungen, insbesondere in gefährdeten Regionen wie Khartum, Kassala und am Nil, können die Auswirkungen saisonaler Überschwemmungen verringern. Darüber hinaus können die Integration einer hochwasserresistenten Infrastruktur in die Stadtplanung und die Verbesserung der Wasserbewirtschaftungssysteme dazu beitragen, künftige Überschwemmungsrisiken zu mindern und Schäden an Häusern, Straßen und landwirtschaftlichen Flächen zu verhindern.

Sensible Planung der humanitären Hilfe: Humanitäre Hilfe muss nicht nur den unmittelbaren Bedarf decken, sondern auch Überlegungen zum Klimawandel einbeziehen. Hilfsprogramme sollten so konzipiert sein, dass sie die Anfälligkeit für klimabedingte Katastrophen verringern. Die Integration von Klimaanpassungsstrategien, wie zum Beispiel sicherere und wetterfestere Unterkünfte, die Verbesserung von Entwässerungssystemen und die Förderung einer nachhaltigen Landnutzung, kann den Gemeinschaften helfen, sich gegen künftige Schocks zu wappnen. Die Einbeziehung der lokalen Communities in die Planung stellt sicher, dass die Maßnahmen kontextgerecht und nachhaltig sind und sowohl den humanitären als auch den ökologischen Herausforderungen Rechnung tragen.

Verbesserung der Lebensgrundlagen in Vertreibungsgebieten: In den zahlreichen Lagern für Binnenvertriebene und Geflüchtete im Sudan können die Verbesserung der Infrastruktur und die Förderung klimaresistenter Lebensgrundlagen eine positive transformative Wirkung haben. Die Einführung kleinerer, klimafreundlicher landwirtschaftlicher Praktiken, wie z. B. urbanes Gärtnern, oder die Unterstützung von Berufsausbildungsprogrammen in Berufen wie Schreinerei und Installation erneuerbarer Energien können die vertriebene Bevölkerung unabhängiger machen. Dies ist besonders wirksam in Gebieten wie Kassala, Darfur und Gedaref, wo langfristige Vertreibung und Klimavulnerabilität eine große Rolle spielen.

Der Weg in die Zukunft

Die humanitäre Hilfe in Ländern, die von Klimakonflikten betroffen sind, muss sich von kurzfristiger Nothilfe zur Förderung langfristiger Resilienz entwickeln. Wenn sie klimasensible Strategien in die humanitären Maßnahmen einbeziehen, können Hilfsorganisationen die Ursachen von Vulnerabilität und Konflikten besser bekämpfen. Der Sudan, ein Land, das sowohl vom Klimawandel als auch von Konflikten betroffen ist, ist ein gutes Beispiel für die Notwendigkeit dieses Paradigmenwechsels. Mit den richtigen Investitionen in die Klimaresilienz kann die humanitäre Hilfe mehr als Nothilfe sein und zum Aufbau nachhaltiger, friedlicher Communities beitragen.


[1] https://www.unocha.org/publications/report/sudan/sudan-humanitarian-update-29-july-2024

[2] https://www.climatecentre.org/wp-content/uploads/Anticipatory_Action_in_Refugee_and_IDP_Camps.pdf

[3] https://www.un.org/en/climatechange/early-warnings-for-all

[4] https://www.unocha.org/attachments/9a4e22b6-967b-4846-8cfc-6f6409cab8b1/HNRP_2024_SDN_EN.pdf

[5]Weiler, F. and Sanubi, F.A. (2020) Development and climate aid to Africa: Comparing aid allocation models for different aid flows. World Development, 127, 104762.

[6] https://www.unocha.org/publications/report/sudan/sudan-humanitarian-impact-heavy-rains-and-flooding-flash-update-no-03-25-august-2024-enar

[7] https://reliefweb.int/report/sudan/sudans-health-minister-confirms-cholera-outbreak-three-states

[8] https://2022.gho.unocha.org/trends/humanitarian-action-must-adapt-climate-change-realities/

[9] https://reports.unocha.org/en/country/sudan/flash-update/2Drg5U8UtYj1JskTDcMXUs/

[10] https://www.unep.org/resources/practical-guide-climate-resilient-buildings

[11] https://www.ipcc.ch/report/ar6/wg2/

Das könnte Sie auch interessieren

AHEAD OF THE CURVE – Zu den Ergebnissen unseres Workshops

Vom 19.-20. Mai 2017 richtete die Robert Bosch Academy in Kooperation mit der Deutschen UNESCO-Kommission einen Workshop zum Thema kulturelle Vielfalt aus. Mike van Graan, Richard von Weizsäcker Fellow, und Christine M. Merkel, Leiterin des Fachbereichs...

Weiterlesen

What to Expect from the EU in Foreign Affairs

The EU finds itself at “the most perilous moment since the Second World War”, French president Emanuel Macron said earlier this year. And in May, the EU elections resulted in a political landscape more fragmented than ever. Still, though, despite...

Weiterlesen

Does Germany need a National Security Council?

On 12 March 2019 two of Germany’s top diplomats Ambassador Wolfgang Ischinger, Chairman of the Munich Security Conference, and Ambassador Klaus Scharioth, Dean of the Mercator Fellowship on International Affairs, took up the invitation of the Robert Bosch...

Weiterlesen