Das erste Richard von Weizsäcker Forum

Das Richard von Weizsäcker Forum begann am 10. November 2015 mit mehr als 200 geladenen Gästen in der Berliner Repräsentanz der Robert Bosch Stiftung.

Erster Tag

Das Richard von Weizsäcker Forum begann am 10. November 2015 mit mehr als 200 geladenen Gästen in der Berliner Repräsentanz der Robert Bosch Stiftung. An diesem Abend waren unter anderem nach Berlin gekommen: Marianne von Weizsäcker, Christof Bosch, zahlreiche Mitglieder des deutschen Bundestages und Botschaftsangehörige verschiedener Länder. Außerdem waren viele ehemalige, aktuelle und zukünftige Richard von Weizsäcker Fellows der Robert Bosch Academy im Publikum. Die Akademie der Berliner Philharmoniker begleitete den Abend mit Stücken von Wolfgang Amadeus Mozart und Joseph Haydn, die von Weizsäcker zu Lebzeiten besonders schätzte.

Persönliche Erinnerungen an Richard von Weizsäcker

In seiner Begrüßungsrede sprach Kurt W. Liedtke, Vorsitzender des Kuratoriums der Robert Bosch Stiftung, seine Dankbarkeit für die Verdienste des ehemaligen Bundespräsidenten aus, der mehr als zwei Jahrzehnte dem Kuratorium der Stiftung angehörte. Er prägte insbesondere das Engagement in Polen und den Balkanländern. Bis zu seinem Tod im Januar 2015 verfolgte Richard von Weizsäcker die Entwicklung und Aktivitäten der Stiftung, gab Anregungen und Rat. Richard von Weizsäcker sei ein echter Staatsmann gewesen, so Liedtke, und streitbar im besten Sinne des Wortes. Er habe zu seinen Überzeugungen gestanden, war leidenschaftlich und mutig.

Im persönlichen Kontakt beeindruckten sein Humor und seine Wärme, erinnerte sich Christof Bosch, Enkel des Unternehmensgründers Robert Bosch und Sprecher der Familie. Gleichzeitig habe er etwas Unnahbares, Respekteinflößendes ausgestrahlt. Diese Kombination habe ihn als Kind sehr beeindruckt, so Bosch. Eine der größten Begabungen von Weizsäckers war, mit Menschen und für Menschen sprechen zu können, fasste Bosch zusammen, als er über die politische Laufbahn von Weizsäckers und dessen Einfluss auf die Stiftungsarbeit sprach.

Einer der letzten großen Politiker

Per Video aus New York erinnerte sich Fritz Stern an seinen langjährigen Freund Richard von Weizsäcker. Dieser habe Autorität ausgestrahlt, sei offen und interessiert an Menschen gewesen, erzählte Stern im Gespräch mit Roger Cohen, Kolumnist der New York Times und ehemaliger Richard von Weizsäcker Fellow. Auch habe von Weizsäcker Mut bewiesen, zum Beispiel mit seiner Rede vom 8. Mai 1985. Zudem habe er Vertrauen aufbauen können – eine der wichtigsten Führungsqualitäten, laut Stern. Dagegen sei die Abwesenheit von Führungspersönlichkeiten in der heutigen Politik beängstigend, stellte der 89-Jährige fest. Einzige Ausnahme: Angela Merkel. Sie wachse an ihren Aufgaben und habe mit ihrem auf Konsens basierenden Führungsstil erfolgreich „Vertrauen via Mutti“ aufgebaut.

Vertrauensverlust als Gefahr für die Demokratie

Im Mittelpunkt der anschließenden Podiumsdiskussion stand die Bedeutung von politischer Führung in einer immer komplexeren Welt. Wir stehen vor einer Leadership-Krise, konstatierte Moderatorin Sabine Christiansen in ihrer Einführung. Selbst in den westlichen Demokratien würden die Menschen ihren Regierungen nicht mehr vertrauen, sagte Giuliano Amato, ehemaliger Ministerpräsident von Italien. Doch sei Vertrauen die wichtigste Voraussetzung für politische Führung. Auch wenn Vertrauen in demokratischen Gesellschaften nicht bedeuten darf, blind zu folgen sondern kritisch zu hinterfragen, wie Gesine Schwan, Präsidentin der Humboldt-Viadrina Governance Platform, anmerkte. Einen Grund für den Vertrauensmangel nannte Carl Bildt, ehemaliger Premierminister Schwedens: Heute seien die Geschichten, die großen ideologischen Grabenkämpfe, verloren gegangen. Vielmehr seien die politische Landschaft und deren Debatten fragmentiert. Politiker suchten deshalb vor allem Popularität und versäumten es dabei, Respekt anzustreben – was eine weitaus schwieriger Aufgabe ist, jedoch eine länger anhaltende Wirkung hat.

Auch der Umgang mit der Flüchtlingskrise wurde angesprochen. Erst wenn die Regierungen glaubhaft vermitteln, dass sie die Situation im Griff haben, werde ihnen Vertrauen geschenkt, so Carl Bildt. „Wir schaffen das“ – viele würden mittlerweile hinterfragen, ob dies wirklich so ist. Schnell könne Vertrauen nicht in Misstrauen, sondern in  Angst umschlagen, warnte Ivan Krastev, Leiter des Center for Liberal Strategies. Vor allem wenn europäische Bürger wenig mit Migranten zu tun hätten oder der Eindruck entstehe, dass die Situation außer Kontrolle gerät. Diese Angst könne eine Gefahr für die Demokratie darstellen.

Richard Von Weizsäcker Forum: Panel "Germany‘s Role And Responsibility In The World"

Richard von Weizsäcker Forum: Evening Discussion "The Importance Of Leadership"

Richard von Weizsäcker Forum: Panel "Europe, Compassion and Democracy"

Fritz Stern in conversation with Roger Cohen

Zweiter Tag des Richard von Weizsäcker Forums: Anspruch an Führung in Krisenzeiten

Der Auftaktabend des Richard von Weizsäcker Forums am 10. November 2015 war der Erinnerung an die vielfältigen Verdienste von Weizsäckers gewidmet. Am darauf folgenden Tag wurde in drei Panels das Thema „Verantwortung und Führung“ diskutiert. Zunächst begrüßten Uta-Micaela Dürig und Joachim Rogall, die Geschäftsführer der Robert Bosch Stiftung, die 60 Gäste und zahlreichen Richard von Weizsäcker Fellows aus aller Welt und gaben einen kurzen Ausblick auf die Themen der folgenden Gespräche.

Krisen und Konflikte: Herausforderungen für die Weltgemeinschaft

Am Vormittag stand der Umgang mit globalen Krisenherden, die in den vergangenen Jahren entstanden sind, auf der Agenda. Ghassan Salamé, Dekan der Paris School of International Affairs, Sciences-Po Paris, blickte in seinem Impulsvortrag auf den Stellenwert von Krieg in der historischen Entwicklung: Dieser schien nach dem Ende des Kalten Krieges an Bedeutung verloren zu haben. Marktwirtschaft und Demokratie als dominierende Systeme sowie die Interdependenzen der Globalisierung hätten ideologisch motivierte Konflikte eingedämmt. Vor rund zehn Jahren seien jedoch neue, hybride Konfliktformen entstanden: Die Kriegsparteien seien nicht mehr eindeutig erkennbar und die Ursachen vielschichtiger. Krieg werde wohl immer Teil unserer Gesellschaft sein, resümierte Salamé. Heute werde Krieg jedoch häufig banalisiert. Außerdem würden wir uns zu oft dafür entscheiden, Konflikte und ihre Ursachen nicht verstehen zu wollen.

Welche Verantwortung müssen die westlichen Länder bei weltweiten Krisen übernehmen? Wie können und sollen sie überhaupt Einfluss nehmen? Über diese Themen diskutierte die anschließende Gesprächsrunde, moderiert von Constanze Stelzenmüller, Robert Bosch Senior Fellow beim amerikanischen Thinktank The Brookings Institution. In der jüngeren Vergangenheit würden sich stark fragmentierte, komplexe Krisenherde häufen, konstatierte Philip Gordon, ehemaliger Special Assistant des US-Präsidenten. Das Eingreifen des Westens sah Gordon zumeist als alternativlos. Am Beispiel Iraks, Libyens und Syriens zeige sich jedoch, dass die Folgen nie absehbar seien. Anne Applebaum, Kolumnistin der Washington Post und Leiterin The Transitions Forum, gab zu bedenken, dass das westliche Selbstverständnis hinterfragt werden müsse – insbesondere die Frage danach,  wer mit „dem Westen“ überhaupt gemeint sei. „Der Westen“ halte die eigene Vorstellung der Weltordnung nicht nur für dauerhaft, sondern auch als erstrebenswert für Jedermann. Es zeige sich jedoch zunehmend, dass dies nicht zutrifft, so Applebaum. Wie wichtig Ursachenforschung sei, betonte Franziska Brantner, Mitglied des Deutschen Bundestags (Bündnis 90/Die Grünen). Man könne nicht ausschließlich als „Feuerlöscher“ agieren, sondern müsse sich mit Konflikten von Grund auf auseinandersetzen. Auch aus Sicht von Vesna Teršelič sei ein konstruktiver Umgang mit Konflikten, etwa für Syrien und den Irak, unerlässlich für die Aufarbeitung. Nur damit sei es möglich, die Verantwortlichen für Krieg und Leid zur Rechenschaft zu ziehen, so die Direktorin des Zagreber „Documenta – Zentrum zur Aufarbeitung der Vergangenheit“.

Miteinander und Mitgefühl: Quo vadis, Europa?

Im zweiten Panel des Forums diskutierten die Teilnehmer zum Thema „Europe, Compassion and Democracy“. Dabei ging es vor allem um die Zukunft der Staatengemeinschaft, die durch die Ereignisse der vergangenen Monate – von der Griechenlandkrise bis zur Flüchtlingsfrage – auf den Prüfstand gestellt wurde. Jörg Asmussen, Staatssekretär im Ministerium für Arbeit und Soziales, blickte zur Einführung zunächst zurück: Europa zeichne sich durch Werte aus, die die Entwicklung der Europäischen Union seit ihrer Gründung bestimmten. Zentral sei dabei die Solidarität der Mitgliedsstaaten. Die Flüchtlingskrise mache jedoch deutlich, dass es daran derzeit mangele. Der Weg zu einem besseren Europa sei nicht charakterisiert durch Nationalismus und die Stärkung von Grenzen, sondern durch die europäische Idee und die Grundwerte des sozialen Fortschritts, der Teilhabe und Demokratie.

Menschen müssen die Idee und Bedeutung Europas besser verstehen, betonte Kemal Derviş, Vizepräsident des Brookings Instituts und ehemaliger Wirtschaftsminister der Türkei. Er forderte außerdem, dass die europäische Integration vorangetrieben werden müsse. Es dürfe kein Europa „à la carte“ geben. Vielmehr müssten die Mitgliedsländer im Kern zusammenrücken und bereit sein, mehr Souveränität an die EU abzugeben. Gleichzeitig sei ein „breiter gefasstes Europa“ denkbar, an dessen gemeinsamem Binnenmarkt auch Länder wie Großbritannien weiterhin teilhaben würden. Bedenken äußerten Ivan Krastev, Leiter des Center for Liberal Strategies in Sofia, sowie Mario Monti, ehemaliger italienischer Premierminister. Ein Zwang zu mehr europäischer Integration könne auch eine Gegenbewegung auslösen, hin zu einer mehr an nationalen Interessen orientierten Politik, warnte Monti. Auf eine weitere Gefahr wies Ivan Krastev hin. Die Flüchtlingskrise ginge für viele mit einer Krise des Vertrauens in politische Führung einher. Dieser Vertrauensverlust würde sich gerade jetzt auch gegenüber der EU weiter vergrößern.

Bei der Diskussion über die europäische Zukunft dürfe ein Aspekt nicht vergessen werden, warnte Anna Diamantopoulou, Präsidentin von To Diktio und ehemalige EU-Kommissarin: Ebenso wichtig wie die institutionelle Ebene sei es, eine gemeinsame Identität zu schaffen. Auch müsse es möglich werden, dass gerade junge Menschen in Europa gleiche Zukunftschancen bekämen.

Aufgabe und Anspruch: Die europäische und globale Rolle Deutschlands

Die letzte Gesprächsrunde des Richard von Weizsäcker Forums legte den Fokus auf Deutschland und dessen Verantwortung im Umgang mit Krisen. Durch Öffnung seiner Grenzen habe Deutschland angesichts der Flüchtlingsströme richtig gehandelt, auch wenn dies eigentlich entgegen der Dublin-Regeln zum EU-Asylverfahren war, sagte François Heisbourg, Leiter des International Institute for Strategic Studies. In seinem Impulsbeitrag kritisierte er jedoch, dass Deutschland in anderen Krisenfällen oftmals zu zögerlich handelte und seine bevorzugte Einflussnahme mittels „Soft Power“ aktiver erfolgen müsse. Als Land im Herzen Europas und politisches sowie wirtschaftliches Schwergewicht läge es an Deutschland, Europa zusammenzuhalten, so Janusz Reiter, Vorsitzender des Centre for International Relations und ehemaliger polnischer Botschafter in Deutschland. In der Flüchtlingsfrage forderte er mehr Solidarität von allen europäischen Ländern.

Eine internationale Perspektive zur Lage in Europa brachten Daniel Hamilton, Leiter des Center for Transatlantic Relations, und Huang Jing, Leiter des Center Asia and Globalisation, in die Diskussion ein. Beide attestierten Deutschland eine zunehmende Führungsrolle, die es jedoch nicht immer ausfüllen würde. Insbesondere in internationalen Institutionen sei Deutschland fast unsichtbar, kritisierte Huang Jing. Diese Ambivalenz gegenüber Macht- und Führungsansprüchen sei nicht zuletzt historisch bedingt, ergänzte Steven Erlanger, Leiter des New York Times-Büros London und Moderator des Panels.

Das Schlusswort der Diskussion lag bei Norbert Röttgen. Deutschland sei sich seiner Verantwortung in Europa bewusst, so der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag. Er bekräftigte, dass die deutsche Position gegenüber der Flüchtlingskrise alternativlos sei. Röttgen betonte jedoch, dass es sich bei dieser und weiteren aktuellen Krisen um eine Herausforderung für ganz Europa handele. Lösungen ließen sich nur gemeinsam finden.